Die tschechischen Neuerscheinungen des Herbstes im Überblick
- Die weißen Elefanten, Erzählungen von Irena Dousková, übersetzt von Mirko Kraetsch, illustriert von Lucie Lomová, Balaena Verlag 2020
Eine Gemeinde in Westböhmen in den 1970er Jahren. Es ist Ende August, die flirrende Sommerhitze über dem heißen Asphalt ist förmlich zu spüren. Ein unsichtbares Netz von Beziehungen aus Liebe und Abneigung, Mitgefühl und Verachtung, Bewunderung und Angst entsteht. Innerhalb einer Woche erfüllt sich der bekannte Abzählreim – Glück, Unglück, Liebe, Ehe, Puppe, Wiege, Gräfin, Tod – der diesem literarischen Kammerspiel seine Struktur gibt. Irena Douskovás raffiniert miteinander verwobenen Geschichten erhalten durch die kongenialen Zeichnungen Lucie Lomovás eine zusätzliche künstlerische Dimension. Für die Arbeit zum vorliegenden Buch begaben sich Autorin und Illustratorin gemeinsam auf eine Zeitreise in die Gegend von Beroun.
- Die Wilden, Grafic Novel von Lucie Lomová, übersetzt von Katharina Hinderer, bahoe books 2020
Basierend auf wahren Begebenheiten erzählt dieses Album von der Freundschaft zwischen dem Prager Botaniker und Ethnographen Alberto Vojtěch Frič und Cherwuisch, einem Indigenen der Chamacoco, die in Brasilien und Paraguay leben. Sie lernten sich 1908 kennen, als Frič in einer wissenschaftlichen Mission in Lateinamerika unterwegs war. Die Chamacocos litten damals an einer unbekannten Krankheit, für die es keine Heilung gab. Frič beschloss seinen Freund nach Europa zu holen, in Prag wird Cherwuisch geheilt, sorgt aber durch seine Extravaganz und seine Unkenntnis der gesellschaftlichen Gepflogenheiten für großes Aufsehen. Ihre Freundschaft wächst, und später kehren sie gemeinsam nach Brasilien zurück. Aber Cherwuisch hat sich zu sehr verwestlicht, und zuhause glaubt ihm niemand die Geschichten, die er von seinen europäischen Erfahrungen erzählt. Die beiden Freunde haben sich ihren jeweiligen Gesellschaften entfremdet. Lucie Lomová bebildert diese gekreuzten Schicksale im Ligne-Claire-Stil und liefert ein gefühlvolles Drama über das Thema der Andersartigkeit.
- Hana, Roman von Alena Mornštajnová, übersetzt von Raija Hauck, Wieser Verlag 2020
Ein mährisches Städtchen 1954 – Mira widersetzt sich ihren Eltern und geht aufs Eis. Zur Strafe erhält sie kein Törtchen, aber dieses Ereignis verändert ihr Leben für immer. Die Tragödie bindet sie an ihre schweigsame, seltsame Tante Hana und beide müssen lernen, miteinander zu leben. Allmählich wird die Geschichte ihrer jüdischen Vorfahren aufgedeckt und Mira versteht, warum sich die Tante so schwer im Leben zurechtfindet. Drei Generationen Familiengeschichte im 20. Jahrhundert, zwei geschickt verwobene Zeitebenen und Schicksale. Zwei Frauen haben sich neben dem durchlebten Leid auch mit der Frage der Schuld auseinanderzusetzen, wenn durch eigenes Handeln anderen Leid zugefügt wird, bewusst oder unbewusst. Und wie erträgt man, als Einzige überlebt zu haben. Die Geschichte, die auf wahren Begebenheiten basiert, ist in einem mitreißenden Tempo geschrieben, dramatisch wie ein Film. Alena Mornštajnovás mehrfach preisgekrönter Roman ist in Tschechien ein Bestseller.
- Prag 1939-1945 unter deutscher Besatzung. Orte/ Ereignisse/ Menschen. Sachbuch von Jiří Padevět, übersetzt von Kathrin Janka, Mitteldeutscher Verlag 2020
Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen 1939 wurde Prag Hauptstadt des Protektorates Böhmen und Mähren. Auf der Prager Burg nahm der Reichsprotektor seinen Dienstsitz. In der Folge war Prag zentraler Ereignisort der nationalsozialistischen Besatzung wie auch des tschechoslowakischen Widerstandes (Heydrich-Attentat). Die Geschichte der Tschechoslowakei in dieser Zeit ist mit Prag unmittelbar verknüpft, wovon bis heute viele historische Spuren zeugen. Jiří Padevět bietet erstmals ein umfangreiches, detailliertes und reich bebildertes Werk zur Moldaustadt während der deutschen Besatzung (März 1939 bis Mai 1945). Sein Buch bietet die Grundlage für neue historische wie aktuelle gesellschaftliche Debatten. Topographisch gegliedert und nach den heutigen Stadtteilen Prags ausgerichtet, eignet es sich zudem als Reiseführer für Geschichtsinteressierte.
- Die Residentur, Kriminalroman von Iva Procházková, übersetzt von Mirko Kraetsch, Braumüller Verlag 2020
Der Tod eines unbequemen Journalisten unmittelbar vor der Europawahl steht am Beginn einer dramatischen Geschichte, die sich im Verlauf einer Woche abspielt. Štěpán Chytil, ein Ministerialbeamter mit großen Ambitionen, verbirgt hinter der Fassade von geradezu langweiliger Anständigkeit das Geheimnis seines Lebens. Dank der Unterstützung einflussreicher Akteure ist er sehr weit aufgestiegen. Ein Scheitern wäre schicksalhaft. Um jeden Preis versucht er den Absturz zu verhindern. Korruption, Mord, zweifelhafte Finanzierung des Wahlkampfs, schmutzige Praktiken der Geheimdienste – jedes Mittel ist ihm recht. Doch die Umstände deuten auf eine bittere Niederlage. Denn einen gefährlichen Gegner hat Chytil nicht nur in seinem kompromisslosen Sohn, sondern auch sein eigenes Gewissen könnte ihn zu Fall bringen.
- Die Konditorei zum Schielenden Jim, Kinderbuch von Marek Toman, übersetzt von Raija Hauck, illustriert von Františka Loubat, Drava Verlag 2020
In dieser Stadt im Wilden Westen geht eigentlich alles ziemlich schief, da ist nur ein Gefängnis und … ein ziemlich gemütliches Café. Warum aber gehen die hartgesottenen Trapper ins Café? Nur um beim Schielenden Jim Kaffee und Kuchen zu genießen? Nun, weil da Fräulein Boženka, die aus dem fernen Böhmen kam, mit den Trappern über Bücher spricht. Kann die Lektüre klassischer Bücher, kann Fräulein Boženka etwas bei den Desperados bewirken? Warum sollen sie sich für den Grafen von Monte Christo oder Romeo und Julia interessieren? Marek Tomans leichte Western-Parodie ist ein Kinderbuch, das auch Erwachsene begeistern kann – enthusiastische Leser und Leserinnen, solche, die es werden wollen, und solche, die ihre Liebe zum Buch weitergeben wollen. Die Illustrationen stammen von Františka Loubat. Das Buch wurde in Tschechien mit dem Literaturpreis Goldene Schleife ausgezeichnet.