Schriftstellerin Kateřina Tučková zu Gast beim Leipziger Literarischen Herbst
Einen ersten Einblick in die zeitgenössische tschechische Literaturszene vermittelte am 24. Oktober die tschechische Bestseller-Autorin Kateřina Tučková zum Leipziger Literarischen Herbst im Gespräch mit Martin Krafl, Programmkoordinator des Gastlandes Tschechien auf der Leipziger Buchmesse 2019.
Markéta Meissnerová, Generalkonsulin der Tschechischen Republik in Sachsen begrüßte die Autorin und das Publikum mit den Worten: „Ich freue mich, dass Sie nicht den Volkssport Couchsurfing heute Abend ausüben, sondern in die Leipziger Stadtbibliothek gekommen sind, um sich mit der tschechischen Literatur auseinanderzusetzen. Kateřina Tučková gehört zu den talentiertesten und meist übersetzten Autoren Tschechiens.“
Die in Prag und Brünn lebende Autorin Kateřina Tučková stellte in Leipzig ihren neu übersetzten Roman „Gerta. Das deutsche Mädchen“ (KLAK Verlag) vor, der ab dem 12. November im Handel erhältlich ist. Der Roman befasst sich mit der Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg, einem Thema, das in der Tschechischen Republik auch heute noch mit großer Vehemenz diskutiert wird. Das sei typisch für die Autorin, sagte Moderator Martin Krafl in seiner Einführung: „Tučkovás Bücher sind, obwohl sehr erfolgreich, nicht leicht, sondern widmen sich schwierigen Themen.“
Die Autorin reist schon in wenigen Tagen erneut nach Leipzig und tritt dort ihren einmonatigen Aufenthalt als Residenzautorin an. Aus zwei Gründen hat sie sich für das Residenzprogramm beworben. „Erstens habe ich dadurch einen Monat Zeit für mein nächstes Werk und zweitens kann ich mich von der Kulturstadt Leipzig inspirieren lassen“, erklärte Kateřina Tučková. Sie arbeitet gerade an einem Roman „Weißes Wasser“, der sich mit der Rolle der Frauen in der Kirche gegen Ende der 80iger Jahre beschäftigt. Sie suche sich wohl Frauen als Protagonistinnen aus, weil sie sich besser in sie hineinversetzen könne, so die Autorin.
Auch ihr neu ins Deutsche übersetzte Buch „Gerta. Das deutsche Mädchen“ dreht sich um eine weibliche Protagonistin vor historisch belegten Hintergrund: Gerta ist die Tochter einer patriotischen tschechischen Mutter und eines fanatischen deutschen Vaters, der seine Tochter vergewaltigt hatte. Gerta bekommt eine Tochter, mit der sie auf den historischen Todesmarsch von Brünn in der Nacht vom 30. auf den 31. Mai 1945 gehen muss. Die Männer wurden bereits zuvor in Arbeitslager verschleppt. Gerta gilt als Deutsche und wird zusammen mit den anderen deutschen Frauen und Kindern aus Mähren vertrieben. Der Marsch sollte nach Österreich über eine Strecke von 70 Kilometern gehen. Viele waren alt und krank, sie hatten kein Wasser oder Essen mit, sodass tausende auf dem Weg oder an den Folgen des Marsches starben. Beide, Gerta und ihre Tochter, überleben den Marsch und kehrten später zurück nach Brünn.
Tučková betonte, dass Deutsche und Tscheche in Brünn vor dem Krieg sehr eng und gut zusammenlebten. Brünn habe der deutschen Bevölkerung viel zu verdanken, unter anderem die Textilfabriken – übrigens eine Gemeinsamkeit mit Leipzig. „Die Vertreibung zerriss auch viele Familien. Manche wurden auch aus persönlichen Gründen vertrieben. All diese Ungerechtigkeiten wirkten sich natürlich auf das spätere Zusammenleben aus“, so die Autorin. „Erst nach 1989 hat man angefangen, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.“
Kateřina Tučková ist neben ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin auch Programmdirektorin des Festivals Meeting Brno, das die künstlerische Verarbeitung aktueller und historischer mitteleuropäischer Themen zeigt. 2017 wurde sie mit dem „Preis für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte“ des Instituts für das Studium totalitärer Regime ausgezeichnet.
BU: Kateřina Tučková im Gespräch mit Martin Krafl in der Leipziger Stadtbibliothek
Foto: Ruth Justen