"Unruhe als produktives Sprungbrett" Fünf Paten – drei Fragen – Fünf Perspektiven: heute mit Pate Tomáš Glanc „Literatur der Beunruhigung“
Herr Glanc, was hat Sie dazu motiviert eine Patenschaft für den Gastlandauftritt der Tschechischen Republik zu übernehmen?
Der Gastlandauftritt ist eine einzigartige Gelegenheit die tschechische Kultur von Innen und Außen gleichzeitig zu sehen. Die Autoren, die in Leipzig ihre Werke präsentieren, stehen für eine Vielfalt an literarischen und gedanklichen Perspektiven. Sie treffen zumeist auf ein Publikum, das in der Regel in einer anderen Sprachwelt und in einem anderen Koordinatensystem lebt bzw. aufgewachsen ist. Welche Schnittpunkte, neue Bedeutungen und Zusammenhänge, Missverständnisse, Verfehlungen und Konfrontationen entstehen in dieser Situation der Begegnungen in Leipzig? Ich freue mich, dass ich an diesem Abenteuer teilhaben darf.
Wieso hat Sie gerade dieses Thema gereizt?
Für Menschen, die sich mit der Literatur im Rahmen der Literaturwissenschaft oder der Kulturgeschichte beschäftigen, ist „Unruhe“ ein ergiebiges und produktives Sprungbrett. Für uns, die wir uns an der Literatur eher mit Interpretationsphantasien beteiligen, ist die aus der fiktiven Welt der künstlerischen Werke entspringende Unruhe sowie das Spannungsverhältnis, das zwischen dem Autor und Interpreten entsteht, besonders aufregend.
Welche Impulse sollte der Gastlandauftritt der Tschechischen Republik der tschechischen Literaturszene bringen?
So ein Gastlandauftritt ist an sich ein toller Impuls: Autoren, Übersetzer, Verleger und alle Beteiligten können ihre Literatur durch die Brille einer großen internationalen Buchmesse sehen, da ihre Werke dort durch die vielen Menschen, Gespräche, Reden und Fragen gespiegelt werden. Davon kann die tschechische Literatur sicherlich profitieren! Es geht nicht nur um neue Übersetzungen und eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Autoren und deren Bücher, sondern auch um die Aufregung darüber, warum jemand nicht eingeladen wurde oder nicht gekommen ist, etwas nicht gelungen oder etwas niemandem früher eingefallen ist – das alles würde ich zum potenziellen Erfolg des Gastlandauftrittes der Tschechischen Republik zählen.
Über Tomáš Glanc
Glanc unterrichtet an der Universität Zürich, in der Vergangenheit war er Gastprofessor an den Universitäten in Berlin und Basel, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle Osteuropa (Universität Bremen), Leiter des Tschechischen Zentrums in Moskau, Dozent an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität Prag und der Direktor des Institutes für slawische und osteuropäische Studien ebenda. Er studierte in Prag und Konstanz. Er setzt sich mit russischer und tschechischer Kulturgeschichte und Literaturtheorie, slawischer Ideologie, Avantgarde, Samizdat und der Beziehung zwischen Poesie und Performativität auseinander. Er ist außerdem als Kurator, Herausgeber und gelegentlich als Übersetzer tätig. Er ist unter anderem einer der Autoren der Monographie Autoren im Ausnahmezustand: Die tschechische und russische Parallelkultur (2017).
Das Patenprogramm
Auf dem Leipziger Messegelände, vor allem am tschechischen Stand in Halle 4, finden zum Gastlandauftritt Tschechiens auf der Leipziger Buchmesse (21. bis 24. März 2019) jeden Tag Lesungen und Diskussionen unter einem bestimmten Thema statt, für das jeweils ein tschechischer Schriftsteller Pate steht. Zusätzlich läuft über alle vier Tage hinweg das Programm mit Kinder- und Jugendbüchern sowie Comics in der Halle 2. Dort finden unter der Patenschaft von Iva Procházková und Petr Sís Lesungen und kreative Workshops statt.
- am 21. März: „Literatur im Ausnahmezustand“ mit Patin Radka Denemarková,
- am 22. März: „Aufbruch und Wandlung - Generation 89“ mit Pate Jaroslav Rudiš,
- am 23. März: „Krisenzeiten? - Europa heute“ mit Pate Jiří Přibáň,
- am 24. März: „Literatur der Beunruhigung“ mit Pate Tomáš Glanc,
- vom 21. bis 24. März: „Kinder- und Jugendbuchliteratur sowie Comics“ mit Patin Iva Procházková und Petr Sís
Foto: Michael Wögerbauer